Interview mit Dieter Hoffmann von STARFISH64



 

RCF:  Erst mal vielen Dank für die Möglichkeit dieses Interviews. Kommen wir gleich mal auf die Band an sich. Starfish64 sind aus deinen Solo-Unternehmungen entstanden. Mittlerweile etabliert ihr euch als Band. Aber zuallererst, wo kommt der Bandname her ? Gibt's da eine tiefere Bedeutung ?

 

Dieter: Im Grunde ist der Name beim Anlegen eines Myspace Accounts entstanden. Dort hab ich ca. 2006 die ersten Demos und Songs auf die Reise ins Internet geschickt. Da der Accountname "starfish" schon vergeben war, hab ich die 64 (mein Geburtsjahr) drangehängt. Seesterne faszinieren mich schon seit Kindertagen. Der erste, den ich gesehen habe lag hilflos am Strand von Rimini. Das war irgendwann in den späten Siebzigern und erinnert mich immer an die Textzeile aus "Here Comes The Flood" von Peter Gabriel: "Stranded starfish have no place to hide..."Hätte ich 2006 schon gewusst, dass aus starfish64 eine Band entstehen würde, hätte ich möglicherweise einen anderen Namen gewählt. Da sich der Name inzwischen aber schon über so viele Jahre etabliert hat, bleiben wir auch als Band dabei. 

 

RCF: "The Future In Reverse" heißt euer neues Album und ist, so weit ich weiß, euer drittes. Was steckt hinter dem Albumtitel, warum kehrt sich deiner Meinung nach die Zukunft um ?

 

Dieter:  "The Future In Reverse" ist sogar schon das sechste Album unter dem Namen starfish64. Die ersten Alben sind allerdings stilistisch teilweise noch eher im Singer-Songwriter Bereich beheimatet. 

Der Albumtitel "The Future In Reverse" ist in gewisser Weise ein Wortspiel, das das rückwärts gerichtete Denken in Teilen der Bevölkerung hier und anderswo widerspiegelt. Das wird in den Texten von "Determination" und "Charting An Abyss" auch in Ansätzen thematisiert. "Determination" stellt wissenschaftlichen Forschungsdrang religiös fundamentalistischem Glauben gegenüber. Es ist einerseits spannend, so fundamental unterschiedliche Denkweisen zu vergleichen. Andererseits ist es aber auch sehr beängstigend. 

Grundsätzlich glaube ich, dass sich die Zukunft nicht mit Denkweisen von Vorgestern bewältigen lässt.

 

RCF:  Machst du dir beim Schreiben von Song-Lyrics generell Gedanken, was in der Gesellschaft so schiefläuft, oder bist du eher doch der positiv gestimmte Typ Mensch ? Ich meine, die Musik von Starfish64 klingt ja jetzt nicht unbedingt negativ oder über-melancholisch....

 

Dieter:  Aktuell ist es sicher so, dass das Weltgeschehen jede Menge Stoff für Song-Lyrics liefert. Das ist aber sicher einer der wenigen positiven Aspekte, die man dem derzeitigen Lauf der Dinge abgewinnen kann. Wie bereits erwähnt fließt das auch in Texte ein. Andere Inspirationsquellen sind eher philosophische Fragen, beispielsweise nach den Konsequenzen des eigenen Handelns, das eigene Selbstverständnis oder die Frage inwieweit das Unterbewusstsein das Handeln eines Menschen bestimmt. 

In den meisten Fällen lassen meine Texte einen gewissen Interpretationsspielraum. Das ist einerseits ein Stilmittel. Es wäre zum Beispiel spannend zu erfahren, wie ein Hörer den Text von „Charting An Abyss“ interpretiert, der durchgängig sehr kryptisch formuliert ist. Andererseits ist es aber auch manchmal Mittel zum Zweck. Je konkreter man werden will, desto schwieriger ist die Wortwahl. Lyrics sollen ja auch gut klingen, flüssig sein und ein Versmaß haben usw. Diese Aspekte haben auch einen großen Einfluss auf die Wortwahl beim Schreiben.

 

RCF:  Da du ja als Singer-Songwriter schon eine längere Zeit unterwegs bist...stellt sich mit der Zeit eine gewisse Routine beim Schreiben ein, so daß es leichter fällt, Ideen auszuarbeiten oder begeisterst du dich selbst mit Ideen immer noch so sehr, daß du dann feststellst, daß die Ausarbeitung gar nicht so einfach ist ? 

 

Dieter: Einen Text zu schreiben kann sehr leicht sein. Es kann aber auch eine echte Tortur werden, wenn man mit der einen oder anderen Formulierung nicht zufrieden ist oder einem schlicht gar keine passende Formulierung einfällt. In solchen Fällen kann ein Stück schon mal in der Schublade landen. 

Glücklicherweise fällt es mir meistens ziemlich leicht eine erste Version von einem Songtext zu schreiben. Oft läuft es Hand in Hand mit Melodie und Arrangement. Am Anfang steht meist eine Akkordfolge, eine Melodie und eine Textzeile. Von da aus lässt sich mit Gitarre, Stift und Stimme experimentieren. Bis ein komplettes Demo für die Mitmusiker aufgenommen ist, kann sich praktisch alles ändern. Manchmal ändere ich nach Wochen oder Monaten Textzeilen, weil mir etwas besseres eingefallen ist. „Determination" hatte beispielsweise bis kurz vor dem finalen Mix einen anderen Refrain, der nicht wirklich gut war. Es war trotzdem nicht leicht, davon weg zu kommen, weil die Melodie schon so verinnerlicht  war. Ich musste mir die Passage ein paar Tage instrumental anhören, um diesen Raum in meinem Kopf wieder frei zu bekommen. Zu solchen Situation kommt es beim Songwriting immer wieder. Ich bin vermutlich aber selber mein größter Kritiker. Bekanntlicherweise sind vielen Hörern Texte sowieso nicht so wichtig.

 

RCF:  Das hört sich so an, als würdest du neben den Lyrics auch die Musik komplett alleine schreiben. In wie weit sind deine Mitmusiker in den Songwriting Prozess involviert ?

 

 

Dieter: Ja, die Stücke auf "The Future In Reverse" stammen alle aus meiner Feder. Bis auf einige wenige Stücke aus der Anfangszeit von starfish64 ist das auch für das ältere Material der Fall.

Der Beitrag von Nick, Martin und Henrik beginnt in der Regel, wenn ein Song in einer Rohversion aufgenommen ist. Ich nehme zwar auch immer mal E-Gitarren Spuren oder programierte Bassspuren auf, allerdings eher um Ideen zu sammeln. Vorgaben für die Beiträge gibt es eigentlich nicht, allenfalls Anregungen. Nick tobt sich in der Regel auf den Rohversionen richtig aus und schickt mir eine ganze Reihe von Gitarrenspuren zu, aus denen ich dann die Rosinen herauspicken kann. Dadurch nimmt das eine oder andere Arrangement schon mal einen spürbaren Kurswechsel. Martin, der neben Bass auch gerne mal Gitarrenparts beisteuert, arbeitet dagegen sehr strukturiert und hat klare Vorstellungen wo und wie seine Parts im Song ihren Platz finden. Da Henrik und ich die Drums zusammen aufnehmen, diskutieren wir darüber häufig im Aufnahmeprozess. Um es auf eine Formel zu bringen, kann man sagen, dass ich das Gerüst für die Stücke aufstelle, das Haus bauen wir aber zusammen.

 

 

RCF:  Jetzt mal zum neuen Album an sich. Auf eurer FB Seite nennt man den Stil, den ihr spielt "Dream Prog". Tatsächlich ist die Musik eher melodisch-harmonisch und harsche Ausbrüche sind mitunter selten. Würdet ihr euch selbst auch in der Progessive Rock/Artrock Szene verwurzelt sehen. Immerhin hast du eingangs ja auch schon Peter Gabriel erwähnt....

 

 

Dieter: Wenn es Einflüsse betrifft, dann würde zumindest bei Henrik und mir die klassischen Art-Rock/Prog Bands wie Genesis, Yes oder Pink Floyd nennen. Martin und Nick haben schon auch andere Vorlieben. Da wären die Stones zu nennen, oder auch The Who. Aber wir denken eher nicht in Schubladen. „Yesterday’s Favourite Smile“ ist ein Popsong. Punkt. Trotzdem passt er auf das Album. Die epischen Stücke rücken atmosphärisch sicher in Richtung Prog- und Art-Rock. Wir haben uns viele Gedanken darüber gemacht, die Balance zwischen Abwechslung und Homogenität auf dem Album zu finden. Das macht ein Album aus. Wenn ein Stück unabhängig von seiner Qualität auf einem Album ein Fremdkörper ist, sollte man es weg lassen. Man tut damit weder dem Album noch dem Stück einen Gefallen. 

Zum Begriff Dream-Prog würde ich sagen, dass es gerade bei seiner Suite wie „Charting An Abyss“ darum geht, den Zuhörer auf eine Reise zu schicken. Licht aus, Kopfhörer auf und die Augen zu. So höre ich selber auch gerne Musik. Selber solche Musik zu schreiben und aufzunehmen, war schon immer mein Wunsch.

 

 

RCF:  Gerade ein Song wie "Charting An Abyss" ist mit seinen über 18 Minuten sicher ein Aushängeschild von "The Future In Reverse". Wie geht man so einen Mammut-Song überhaupt an ? Entwickelt sich dieser, so daß man gar nicht merkt, wie lang er überhaupt wird, oder plant man von vorneherein eine solche Länge ein. Sicherlich ist es nie einfach, einen Song solcher Länge  zu schreiben. Er soll ja auch nicht langweilen...

 

Dieter: Oh, das ist schwierig, so eine Frage kurz und bündig zu beantworten. Am Anfang standen 3 kurze Demos, die ich im Mai 2017 in Griechenland aufgenommen hatte. Die Texte hatten gewisse thematische Überschneidungen, was die Idee einer Suite ins Spiel brachte. Von diesem Punkt an hatte das Stück eine gewisse Eigendynamik. Im Aufnahmeprozess kamen neue Ideen dazu. Einer der ursprünglichen Parts erwies sich mehr und mehr als Fremdkörper innerhalb der Suite, sodass er letzlich durch eine neue Idee ersetzt wurde. Die Übergänge zwischen den Sequenzen waren auch eine gewisse Hürde.  Das Grundgerüst von "Charting The Abyss" ist schließlich in ca. 4-5 Monaten entstanden. Von dort aus haben wir Feinheiten im Arrangement in Angriff genommen und auch die Texte weiter entwickelt. Martin hat beispielsweise im dritten Teil ("Dominoes") maßgeblich das Arrangement mit geprägt. Zumindest bei mir ist es so, dass ich zu Beginn eine bestimmte Vorstellung im Kopf habe, die allerdings im kreativen Prozess eine Entwicklung nimmt. Fadengerade läuft das eigentlich nie. Am Ende muss die Dramartugie innerhalb einer Suite wie "Charting an Abyss" nachvollziehbar und spannend genug sein.

 

 

RCF:  Du nimmst Demos in Griechenland auf ? Ist das so etwas wie die zweite Heimat ? Du hast mir ja verraten, daß du deinen Urlaub auf Rhodos verbracht hast und das Foto als Albumcover von "The Future in Reverse"  hast du meines Wissens auch selbst in Griechenland geschossen. Und weil wir gerade von diesem Foto sprechen...was stellt es genau dar und warum hast du es für das Album gewählt ?

 

Dieter: Zweite Heimat - Oh ja, das wäre schön. Wie du dir sicher denkst, sind wir alle berufstätig. Da ich einen Großteil meines Jahresurlaubs gerne auf der Insel Rhodos verbringe und mir in den Ferien einfach am meisten Zeit für Musik, Texte und Songwriting bleibt, entsteht der eine oder andere Titel eben dort. Ich habe bei der Vermieterin unserer Ferienwohnung auf eine Gitarre stehen, weil der Transport im Flugzeug inzwischen teuer und umständlich ist. Was man sonst so braucht passt heutzutage glücklicherweise in den Koffer. Nick nennt unser Feriendomizil immer liebevoll "Studio-Süd". Aber im Grunde ist es schon eher die Ausnahme, "starfish64" findet bei uns allen eher am Wochenende oder nach Feierabend statt. 

Das Coverfoto ist ein Glücksgriff. Es ist vergangenes Jahr bei einem Ausflug auf den höchsten Berg der Insel entstanden. Ein Schnappschuss mit dem Smartphone. Soweit ich weiß, ist es eine Radarstation. Wir haben es gewählt, weil es so ein Science-fiction feel hat. Es ist ein Eye-catcher. Wenn ich früher in einem Plattenladen so ein Cover gesehen hätte, dann hätte es sicher mein Interesse geweckt. Heutzutage spielt eine solche Entscheidung leider kaum noch eine Rolle.

 

RCF:  Damit sprichst du die heutige, schnellebige Zeit direkt an. Ist es für dich eher Fluch, daß sich die konsumgesteuerte Gesellschaft heutzutage kaum noch Zeit für Details (wie Artworks, Lyrics etc.) nimmt und eben meist nur noch konsumiert oder ist es eher ein Segen, daß heutzutage technische Möglichkeiten Aufnahmeprozesse und Kommunikationswege vereinfachen ? Pro oder Contra Gegenwart, oder doch Beides ?

 

Dieter: Du gibst quasi die Antwort darauf schon in der Frage selbst. Natürlich ist es schwer CDs zu verkaufen oder auch nur einen Download. Die Streaming-Plattformen sind heute die erste Adresse. Dazu kommt, dass es nur 24 Stunden gebraucht hat, bis unser Album auf zahllosen illegalen Downloadportalen zu haben war. Keine Ahnung, wie das funktioniert.

Man könnte sich Spotify und Co. natürlich verweigern, aber dadurch gewinnt man nichts. Uns geht es ja in erster Linie darum gehört zu werden. Und man darf natürlich nicht vergessen, dass man darüber Fans rund um den Globus erreichen kann. 

Ein ganz anderer Punkt ist die Technologie, die man heute zur Verfügung hat. Noch nie war es so komfortabel und einfach gute Aufnahmen zu machen. Und vor allem ohne Zeitdruck, immer mit der Möglichkeit einen Take noch einmal zu überdenken. Viele Dinge die früher ein mühsamer Prozess in einem Proberaum waren, lassen sich heute sehr effizient mit einer Recordingsoftware erledigen. Ohne diese Voraussetzungen würde es starfish64 überhaupt nicht geben. Dass wir heute eine Band sind, war anfänglich nicht abzusehen. Das hätte ich auch gar nicht gewollt. Ich hatte eigentlich genug von Proberäumen, Besetzungswechseln und Diskussionen. 

 

RCF:  Wenn "gehört zu werden" eine hohe Priorität einnimmt, sind Live Auftritte sicherlich heutzutage immer noch eine gute Angelegenheit. Wie sieht es mit Starfish64 im Live-Sektor aus, oder ist das mit der Umsetzung eurer Musik eher schwierig ?

 

Dieter: Tatsächlich ist es so, dass wir gerade am kommenden Wochenende eine erste Probe für ein Live-Set geplant haben. Dafür haben wir uns extra einen befreundeten Keyboarder ins Boot geholt. Wir sind gespannt wie sich das entwickelt. Es wird sich nicht umgehen lassen, dass wir die Stücke etwas umarrangieren, da sie nicht unter der Maßgabe entstanden sind, live gespielt zu werden. Es wäre natürlich schön, wenn wir die Gelegenheit hätten, beispielsweise bei einem Festival oder auch als Support für eine andere musikalisch verwandte Band, unsere Musik auf die Bühne zu bringen. Leider gibt es im Raum Mittelhessen diesbezüglich wenig Möglichkeiten. Die Liveszene ist von Coverbands dominiert und im Grunde gibt es immer weniger Locations, wo Livemusik stattfindet. Da sind andere Regionen sicher besser dran. Gerade kürzlich habe ich mit befreundeten Musikern aus dem Raum Köln/Bonn gesprochen, die diesbezüglich bessere Optionen haben.  

 

RCF:  Diese Probe für ein Live-Set bringt uns zur Frage, was als nächstes für Starfish64 ansteht ? Gibt es schon irgendwelche konkreten Pläne, oder lasst ihr das Album erst einmal "sacken" ?

 

Dieter: Nein, konkrete Pläne gibt es derzeit nicht. Was nicht heißt, dass es keine Pläne gibt. Irgendwas köchelt immer. Aber das Album ist ja auch erst seit Juni veröffentlicht, also wirklich noch ziemlich frisch. Es hat sich auch als gar keine so schlechte Idee erwiesen, mitten in das sogenannte Sommerloch zu veröffentlichen. Wir haben wirklich sehr viele, sehr ermutigende Album Besprechungen bekommen, natürlich inklusive eurer. Möglicherweise wären wir zu einen anderen Zeitpunkt eher untergegangen. 

Auf alle Fälle ist das ein ziemlicher Ansporn und auch in Bezug auf Liveauftritte sicher ein Argument. 

Da wir während der Aufnahmen zu „Future“ deutlich mehr Stücke aufgenommen haben, als letztlich auf dem Album gelandet sind und in der Zwischenzeit auch wieder ein paar neue Ideen in den Fokus gekommen sind, wird es sicher keine Ewigkeit dauern, bis wir konkret an einem Nachfolger arbeiten.

 

RCF: Das ist doch ein gutes Schlußwort wie ich finde. Ich danke Dir für dieses Interview. Vielleicht möchtest Du noch etwas Spezielles loswerden ?  

 

Dieter: Unsere erste Probe in dieser Besetzung hat richtig Spaß gemacht und war auch schon vielversprechend. Auch Patrick, der hierfür die Tasten bedient hat, hat es offensichtlich Spaß gemacht. Fazit ist, dass ein gutes Gefühl hinsichtlich der Umsetzung haben, aber auch einiges an Arbeit auf uns wartet. Logistisch wird das nicht ganz einfach. Beruf, geographische Entfernung, andere Bandverpflichungen und so weiter. Aber der nächste Probentermin steht. Das ist doch schon was.  

 

 

 

 

Interview:  Kerbinator


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