MARILLION - F.E.A.R. (Fuck Everyone And Run)

Tracklist:

  • El Dorado
  • Living in F.E.A.R.
  • The Leavers
  • White Paper
  • The New Kings
  • Tomorrow's New Country

Info:

VÖ:  23.09.2016

Label:  Ear Music


Bewertung:

Autor:  Kerbinator

Bewertung:  8,5 / 10



Ich kann mich durchaus als Fan der ersten Stunde bezeichnen, wenn es um die britische Prog-Formation Marillion geht. Was war das für ein Einschlag damals mit „Script For A Jesters Tear“ in den frühen 80ern. Diese geniale Kombination aus Gänsehautmelodien und dem charismatischen Gesang von Derek William Dick („Fish“) nahm einen unweigerlich gefangen und die Songs bekam man monatelang nicht mehr aus dem Ohr. Natürlich musste man sich Vergleiche mit Genesis gefallen lassen, aber der Fanschar war das egal. Der Einschnitt im Bandlager kam dann mit dem Ausstieg von Fish nach vier Fulltime-Alben und dem Einstieg des The Europeans-Sängers Steve Hogarth („h“). Für mich als Fan war der stimmliche, aber auch musikalische Umbruch mit dem ersten Album mit neuem Sägner, „Seasons End“, erst einmal ein Schlag ins Gesicht und man hielt sich eher an Fish's erstes Soloalbum „Vigil of a Wilderness of Madness“, da dieses mehr den „alten“ Marillion ähnelte wie eben „Seasons End“.

 

Nach relativ kurzer Zeit entfalteten aber auch die neuen Songs ihre Faszination und das gefühlvolle Intonieren der Songs durch die bis heute in der Band aktiven Steve Rothery, Pete Trewavas, Ian Mosley und Mark Kelly enthielt immer noch den Zauber früherer Tage. Hatte man sich mit den „neuen“ Marillion abgefunden, erschien mit „Holidays in Eden“ ein weiteres tolles Album, bevor die Band mit „Brave“ das bisherige Highlight der Steve-Hogarth-Zeit ablieferte. Doch bereits mit den folgenden „Afraid of Sunlight“ und „This Strange Engine“ kam der Einbruch. Nur noch einzele Songs konnten richtig überzeugen. In Verbindung mit neuen Stilelementen modernerer Ausrichtung konnte man das Niveau der vorangegangenen Alben auf der kompletten Länge nicht halten. Dies wurde mit Alben wie „Marillion.com“, „Radiation“ oder „Anoraknophobia“ noch schlimmer und für Alt-Fans nur noch ärgerlich. Erst mit (teilweise) „Marbles“ und „Somewhere Else“ fanden Marillion zurück in die Spur und das bisher lezte Album „Sounds That Can't Be Made“ überzeugte wieder einigermassen.

 

Daran knüpft auch das neue Album „FEAR“ an. Liest man den Untertitel des Werks („Fuck Everyone And Run“) bekommt man erst einmal nervöse Zuckungen, denn man denkt sich: „Was werden Marillion mit einem solchen Titel wohl abliefern ?“ - aber....Entwarnung, die Band marschiert in die richtige Richtung.  

Das Album besteht aus insgesamt 6 Songs, davon 3 Longtracks mit über 10 Minuten, die jeweils in einzelne Parts unterteilt sind, wie es sich für eine richtige Progband gehört. Der Einstieg mit der ersten langen Nummer „El Dorado“ verläuft sehr ruhig und gediegen. Steve Hogarth's einfühlsamer und emotionaler Gesang thront über allem und erzeugt wohlige Atmosphäre. Im Verlauf folgen diese typisch epischen Ausbrüche für die Marillion seit jeher bekannt sind und aus Rothery's elegische Gitarre zeugt von alter Klasse. Die einzelnen Parts bedeuten auch immer musikalisch anders gestaltete Abschnitte, was letzlich viel Abwechslung im Sound bedeutet. Von ruhig und melodisch bis zu etwas disharmonischeren Momenten wie bei dem Part namens „Fear“.  

 

„Livin in Fear“ beginnt danach ebenso entspannt wie die Eröffnungs-Nummer, man erfährt an sich aber einen spannenden Songaufbau. Aufhorchen lässt hier eine mehstimmiger Chorus zum Schluß.  

Der zweite lange Song „The Leavers“ ist ähnlich strukturiert wie „El Dorado“. Zu Beginn noch etwas verspielt wird’s zwischendurch sentimental ruhig, dann wieder herrlich bombastisch bevor Pianotöne den Songs wieder bremsen, nur um darauffolgend härtere Züge anzunehmen.  

Genau im selben Fahrwasser schippert „White Paper“, wenn auch um einiges kürzer. Bisher ein gutes Marillion-Album, bei dem aber irgendwie doch noch das Quentchen Genialität fehlt, welches ein Album wie „Brave“ ausgemacht hat.  

 

Diese Genialität folgt dann aber mit dem letzten Longtrack „The New Kings“. Hier wird man durch ein Gefühlschaos geschmissen, das sich gewaschen hat. Sehr atmosphärisch beginnend, mit viel Keyboards, extrem hohen Gesang beim Titelthema, einige strange Orgelklänge...der Song fordert einen schon im ersten Abschnitt.  Der Songteil „Russia's Locked Doors“ ist das Beste was man in den letzten Jahren von Marillion zu hören bekommen hat. Weltklasse-Gesang mit viel Hall aufgepeppt, wahnsinnig tolle Gitarrenmelodien, denen man sogar Spuren der Frühphase attestieren kann und immer wieder diese mit Piano versetzten, verspielten Themen, die trotz aller Oppulenz immer eine gewisse Lockerheit versprühen. Ein Spitzentitel, den man sicherlich für längere Zeit im Live-Programm der Band bewundert, wie ich mir vorstellen kann.  

 

Mit „Tomorrow's New Country“ lassen es Marillion dann recht kurz und ruhig ausklingen.

Ja, das neue Album „FEAR“ besitzt einige Passagen und Phasen, die an das legendäre „Brave“ erinnern. Man merkt sichtlich, daß Marillion auch bewusst den Weg zurück zu diesem Album anstreben. Auch wenn man die Genialität nicht erreicht, versteht es die Band nach wie vor wunderbare Songs zu schreiben, diese spannend zu gestalten und beim Hörer Gefühle zu wecken. Mit „The New Kings“ hat man einen echten Prog-Kracher im Gepäck, der das Album immens aufwertet.  

 

Man kann sich freuen, daß Marillion zu alter Stärke zurückfinden und sich auch nicht scheuen mit dem Einsatz von Cellisten, Violinisten und manchen Samples ihren Sound zu verfeinern. Beeindruckend, welch tolle Stimme „h“ immer noch hat und welche Melodien die Band aus dem Ärmel zaubert. Das beste Marillion-Album seit langer Zeit....



Kommentar schreiben

Kommentare: 0